Ich bin beim Friseur - das war, weil ich den value in use verfolge, schön oder zumindest einigermaßen ordentlich auszusehen. Und im Zuge dessen, dass ich mir diesen Wert schaffe, stelle ich fest, dass ich wohl fantastisch gelbe Anzüge kaufen kann, aber ganz schlecht Haare schneiden. Diese Kompetenz strebe ich auch nicht an - und daher lade ich meinen Friseur dazu ein, mich in meiner Wertschaffung zu unterstützen. Ich betrete einen gemeinsamen Interaktionsraum - diesmal ist es ein realer Friseursalon - und es beginnt seine Co-Creation, seine Beteiligung an meiner Wertschaffung, indem mit dort meine Haare geschnitten werden.
Der Friseur kann mir allerdings noch weitere Werte schaffen - das gelingt über Interaktionen im Sinne der Kommunikation oder besser: Kooperation. Wir bezeichnen diese Werte als Value in Interaction. Auch sie ergeben sich aus Co-Creation, wir kommunizieren miteinander. Auch sie finden in einem gemeinsamen Interaktionsraum statt - das kann aber auch die Website des Friseurs sein oder einfach über Telefon. Welche values in interaction kann man sich da vorstellen? Nun, ganz wesentlich sind heute Interaktionen, die es mir vor einem Kauf erleichtern, die richtige Dienstleistung für mich zu finden. Die richtigen Anbieter mit den richtigen Kompetenzen, aber auch von diesen richtigen Anbietern genau den Service, den ich mir wünsche. Man kann das als Matching-Value bezeichnen. Oder nach dem Kauf: eine Beratung, die mir hilft, meinen value in use voll zu genießen, vielleicht ein Erinnerungsservice für den nächsten Termin. Oder zusätzliche Dienste, die mehr von meinem Problem lösen usw. Das alles erhöht den value in use - direkt oder auch indirekt. Aber auch völlig unabhängig vom value in use können Interaktionen wertvoll sein, wenn sie beispielsweise einfach eine positive Beziehung zwischen Anbieter und Kunde aufbauen. Beim Friseur: die Inspiration, einmal verschiedene Frisuren über eine Simulation auszuprobieren, die fachkundige Beratung, die Pflege für die Farbe für zuhause, Styling-Tipps, eine Erinnerungsmail wiederzukommen - oder einfach der nette Small Talk. Und immer wird nicht nur mein Wert erhöht, sondern auch der des Friseurs, denn während der Beratung lernt er mich besser kennen und kann mir immer bessere Angebote machen. Dazu kommt, dass meine Mailadresse ihm ermöglicht, immer wieder einen Interaktionsraum zu mir zu eröffnen und schon denke ich vielleicht an ihn. Und eine gute Beziehung zu Kunden ist heute häufig ein ganz wesentlicher Grund für ein erfolgreiches Geschäft: man gewinnt Vertrauen, man ist zufrieden, man kommt zurück.
Alles super. Was aber war im Mai, als ich mit diesem Ü-50-Bob aus dem Friseursalon kam? Value Co-Destruction. Ich fand mich nicht schön und die Beziehung zum Friseur hat damit gelitten. Aber nett war‘s und die Fremdwahrnehmung meiner Schönheit hat doch den value in use einigermaßen gerettet - man fand mich zumindest mal wieder einigermaßen gepflegt. Pfh. Als ob das mein Wert war. Aber egal.
Eine konsequente value Co-Destruction darf ich jedoch mit meinem Telekommunikationsanbieter erleben. Nennen wir ihn ganz einfach Teledot. Trotz meiner fast 30-jährigen Beziehung zu Teledot kann man von einer guten Beziehung nicht sprechen. Diese würde auf Verbundenheit gründen. Ich verzeichne eher Gebundenheit, denn in allen meinen Haushalten hängen Internet und Fernsehen von Teledot ab und alle meine Familienmitglieder (nur ich und mein Sohn, zum Glück) haben einen vertraglich damit verquickten Mobilfunkvertrag. So etwas, wenn man quasi nicht herauskommt, ohne eine komplette Isolation befürchten zu müssen, heißt Lock-In.
Gut. Eine Apple-Watch habe ich mir gegönnt. Vorletztes Jahr an Weihnachten. Von value in use nichts zu spüren, denn meine fast einzige Idee war, dass ich das Handy ab und zu einfach zuhause lassen und allein über die Uhr mit meiner Umwelt verbunden sein kann. Das ist mir bis zu diesem Sommer nicht geglückt, denn Teledot kann das wohl einigermaßen mit Privatkunden, aber für mich, damals ein eigentlich bevorzugter Geschäftskunde, waren die Kompetenzen nicht verfügbar, kein Matching mit einem passenden Angebot von Teledot möglich. Ok. Vertrag gewechselt. Neue Nummer. Interessanter V alue in Use , denn ich bin nun für manche Menschen nicht erreichbar.
Letzte Woche also, vormittags gegen 11 Uhr: ich, sozusagen in Urlaub, mal wieder auf der Suche nach dem richtigen Service, der mich und meine Apple Watch online schaltet - die eSIM muss aktiviert werden. Die Teledot-Website mit meinem Kundenportal zeigt mir meinen Vertrag nicht - da habe ich wohl irgendwie zwei Zugänge, interessanterweise mit dem gleichen Login. Jedenfalls: lockere 30 Minuten später meldet sich ein netter Chatpartner. Er bestätigt die Co-Destruction von Beratung auf der Website. Diese könnte nun, so sagt es die Service Logik , auch an mir liegen. Kunden, die sich zu dumm anstellen, zerstören ihren value in interaction, ohne dass der Anbieter etwas dafür kann. Im Falle von Teledot trifft das nicht zu: leider geht das Aktivieren der eSIM nur telefonisch. Allerdings, Vertrauen hat der freundliche Chatter bei mir erreicht. Ich, also, wähle die angegebene Telefonnummer. Co-Destruction of Value in Interaction. Erstmal natürlich, weil ich mich wieder selbst kümmern muss, wieder selbst in der Warteschlange hänge. Nicht bequem und keine ordentliche Verknüpfung unterschiedlicher Kanäle. Aber, noch besser, ich bin bei der Geschäftskunden-Hotline gelandet. Falscher Anbieter, sozusagen. Macht nix, auch hier ein freundlicher Gesprächspartner - mich kann man ja leicht kriegen - sagen wir mal: Martin. Ich erkläre Martin, dass ich sofort meine eSIM aktiviert haben möchte, da ich ja morgen in den Urlaub fahre. Martin schlägt mir freundlich vor, mir einen QR-Code zuzuschicken - per Post. Co-Destruction of Matching-Value. Klappt ja nicht, ich bin ja morgen weg. Martin meint, er könne mir den QR-Code zur Aktivierung auch ganz einfach per SMS schicken. Ich kann noch nicht glauben, dass wir tatsächlich einen value ko-kreieren und frage ihn, wie lange das wohl dauert. Er meint, wir könnten noch kurz weiter miteinander reden, dann müsste es gleich klappen und dann würde er mir auch am Handy weiterhelfen. Er meint noch, er sähe, dass meine eSIM schon aktiviert - ... - Stille. Ich: gucke. Kein Netz. Störung im Netz in ganz Nürnberg? Störung im Netz in ganz Nürnberg über eine Stunde? Kann nicht sein. Dann rufe ich halt nochmal an. Moment. Co-Destruction of value in interaction: ich kann ja keinen Interaktionsraum mehr eröffnen. Kein Netz. Ich also zurück in den Chat. Mittlerweile ist’s 18 Uhr, denn ich hatte noch andere Values in meinem Leben zu schaffen. Hier: Stefanie. Auch sehr nett, keine Frage. Aber eine Beziehung allein ist noch kein Wert. Und Stefanie ist immer besorgter, immer verständnisvoller und fast verzweifelt denn: Martin (der am Telefon) hat eine komplette value Co-Destruction meines value in use hingekriegt. Er hat meine normale SIM deaktiviert - weil er mich falsch verstanden hat, meint Stefanie noch... aber dann hätte er ja nicht den QR-Code als SMS geschickt. Und, es tut Stefanie fürchterlich leid. Das ist unwiderruflich. Sie kann mir eine neue SIM für mein Telefon und den Aktivierungscode der eSIM als Brief schicken - das ist ja dann auch übermorgen da. What? Aber ich kann das alles, SIM, eSIM etc. auch in einem Teledot-Shop erledigen. In der Stadt. What? Da - value in interaction - gibt sie mir auch eine Adresse durch. Danke. Allein: Shop über googlemaps suchen kann ich ja auch nicht - denn tatsächlich ist der value in use von allen digitalen Diensten durch Teledot co-zerstört: Zerstörungs-Ökosystem mit Teledot an der Kundenschnittstelle. Das ist heutzutage mal wieder eine ganz neue Erfahrung - aber keine wertvolle. Genaueres zu meinem Besuch im Shop muss nicht erzählt werden, es wiederholt allein die vorherige Zerstörung von Matching-Value, obwohl im Shop, im Gegensatz zu allen freundlichen Chat- und Telefonpartnern auch von steigendem Beziehungswert nichts zu merken war. Natürlich hat der versprochene Full-Service nicht geklappt, nur eine SIM hatte ich wieder, eSIM gibt’s in Nürnberg nicht, nur in Erlangen - what? - ich dachte, Aktivieren ist ein digitaler Dienst? Jedenfalls: gegen 19 Uhr hatte ich wieder einen ähnlichen Value in Use wie um 11.
Dafür hat der junge Mann im Shop noch eine weitere Teledot Value Co-Destruction aufgedeckt. Diesmal bezogen auf meinen Fernseher. Dort bezahle ich Teledot-Home. Alles (nach einem Jahr Installationszeit) in drei Räumen - prima. Geht über eine Brigde, irgendwie WLAN-Verstärkung, was weiß ich. Ohne weitere Berücksichtigung meines (ja existierenden und nicht allzu niedrigen) Value in Use habe ich ein (nicht drei, wie vorher) neues Teledot-Home-Empfängerteilchen zugesandt bekommen. Muss man neu installieren (Hilfe!). Man hat dann aber 1.000 neue Funktionen, die ich nicht kenne und, soweit ich weiß, auch nicht will. Hätte nur gerne ferngesehen. Aber, Co-Destruction meines Value in Use : Geht leider nicht mehr über WLAN, das heißt, gemütlich mit irgendjemandem Filme gucken (mein value in use ) geht jetzt leider nur noch im Untergeschoss im Zimmer meines Sohnes - an einem einzigen Gerät. Danke.
P.S.: Habe jetzt die eSim aktiviert, nachdem mich (nach ausführlicher Beschwerde) eine gut vorbereitete Profi-Beraterin angerufen und beraten hat. Ist soweit ganz gut. Hätte ich mich allerdings an die Vorgehensweise im Begleitschreiben zum QR-Code gehalten, hätte es mir den value in use
wieder co-zerstört, denn dieses erklärte mir notwendige Interaktionen (von meiner Seite) um eine ganz normale SIM (die ja gar nicht dabei war) zu aktivieren.
P.P.S.: Bin jetzt gar nicht mehr sicher, ob ohne Smartphone herumzulaufen und über die Apple Watch zu telefonieren ein cooler value in use ist. Da bin ich wohl auf Werbung reingefallen. Hätte ein guter Kreateur von Matching value hinkriegen können. Denn Kunden von einem vagen Bedürfnis hin zu einem guten Service zu geleiten, ist ein, wenn man es mag (ich tue das), herausragender value in interaction.
Die vorherigen Artikel von Susns Service Storys (Teil 1 & 2) beschäftigten sich mit der Thematiken Value in Use
und Service-Logik.